Der Montageschreiner

Irritiert hat mich eine Aufschrift, die ich kürzlich auf einem Lieferwagen las. Dort stand das Wort „Montageschreiner“. Zwar sind wir in Zeiten der Pandemie an Kurzarbeit gewöhnt, aber ein Schreiner, der nur an Montagen arbeitet? Wird der Zeitgeist da nicht ein bisschen zu sehr auf die Spitze getrieben?
Stellen Sie sich vor: Gerade ist Ihre neue Designer-Einbauküche aus Sperrholz mit Makkaronifurnier – oder so ähnlich – angeliefert worden, und beim Aufbau bemerken Sie, dass der Hängeschrank ganz links in der Ecke zwei Zentimeter zu breit ist. Ärgerlich, denn so passt die ganze farblich und gestalterisch aufeinander abgestimmte Küchenzeile, für die Sie womöglich eine erkleckliche Summe Geld hingeblättert haben, gar nicht in die real existierende Küche. Wenn Sie nicht zu einer radikalen Lösung greifen und zwei Zentimeter aus der Wand heraus stemmen wollen, müssen Sie auf den überbreiten Hängeschrank verzichten und ihn solange auf dem Speicher zwischenlagern, bis er passend gemacht ist. Also rufen Sie einen Schreiner Ihres Vertrauens an, der dem Teil sägend und schleifend zu Leibe rückt. Und nun geraten Sie an einen dieser ominösen Montageschreiner, der sich zwar bereiterklärt, vorbeizukommen, um die Maße präzise aufzunehmen, aber stur darauf beharrt, am Montag zu erscheinen – auch, wenn gerade erst Mittwoch sein sollte. Also gut, denken Sie sich, vielleicht kann er ja wirklich nicht früher, und stimmen wohl oder übel zu. Den Reis, die Nudeln und die Kaffeefilter, die Sie eigentlich in dem vermessenen Hängeschränk aufbewahren wollten, verstauen Sie in der Zwischenzeit unter der Küchenspüle oder in einem Karton neben dem Abfalleimer.
Am Montag taucht der Schreiner dann tatsächlich bei Ihnen auf; was einerseits ein schöner Zug von ihm ist, andererseits aber nicht mehr als recht und billig, denn wenn er nicht einmal an seinem einzigen Arbeitstag käme, wann dann? Mit ungezügeltem Tatendrang misst er nun den Schrank aus, und in der Tat: Es sind exakt zwei Zentimeter zu viel. Das haben Sie zwar vorher schon gewusst, aber nun haben Sie es gewissermaßen amtlich. Für die erforderlichen Reparaturarbeiten braucht der Schreiner freilich die geeigneten Werkzeuge und Geräte, die natürlich nur in seiner Werkstatt vorhanden sind. Darum eröffnet er ihnen, dass er den Hängeschrank mitnehmen muss. Natürlich sind Sie einverstanden, haben Sie doch inzwischen die Mondays-Only-Regel soweit verinnerlicht, dass Sie erwarten, den reparierten Schrank in einer Woche zurückzuerhalten. Das entpuppt sich sogleich als krasser Fehlschluss, denn Sie denken doch nicht etwa, dass der Schreiner noch am selben Tag mit der Arbeit beginnt. Schließlich hat er noch anderes zu tun. Sie können also frühestens am Montag in zwei Wochen mit der Rückgabe des Schrankes rechnen. Schade, dass Sie keinen Freitageschreiner erwischt haben! Dann wäre er nicht nur drei Tage früher erschienen, sondern auch drei Tage früher fertig gewesen. Aber nun ist es nun mal, wie es ist. In den zwei Wochen Wartezeit können Sie sich ja über Berufsbilder wie den Dienstagsklempner, den Mittwochselektriker, den Donnerstagsfriseur, den Freitagsmechatroniker und den Samstagsanstreicher Gedanken machen. Sonntagsmaler und Sonntagsfahrer gibt es ohnehin schon lange, und auch die Zahl der Sonntagsdichter wächst ständig.
Nach zwei Wochen ist der große Tag gekommen, an dem der Schreiner den um zwei Zentimeter verschmälerten Schank zurückbringt. Nun passt er wie angegossen in die Lücke zwischen Nachbarschrank und Wand. Auch die Einlegebretter wurden klugerweise um zwei Zentimeter gekürzt und passen problemlos in den Schrank. Allerdings: Wenn man die Schranktür öffnet, schwingt sie, durch die eingebaute Feder beschleunigt, mit einem Ruck vollständig auf, und der als Griff an der Vorderseite der Tür befestigte Knauf schlägt mit einem satten Knall an der Wand an, wo er nicht nur selbst Schaden nehmen, sondern auch die Tapete beschädigen könnte. Hier wäre es sinnvoll gewesen, wenn der Schrank noch einmal zwei Zentimeter schmaler gewesen wäre.
Aber was haben Sie erwartet? Es ist nun mal ein Montagsschrank!

Jörg Wartschinski