Adieu – Ein Lebewohl auf meine Strasse

Meine Strasse in der kleinen Stadt – mein zu Hause. Hier fühlte ich mich geborgen, hier war mein Lebens-Zentrum – hier habe ich gelebt 10 Jahre während meiner Jugendzeit – meine Schulzeit.  Danach kam ich an den Wochenenden in meinen Heimatort – nach Hause.

Und heute?

Das Haus ist verkauft – mein Vater schon lange tot, meine Mutter lebt in einem Seniorenheim und es gibt es nicht mehr – das zu Hause.

Damals – in mir sind so viele Erinnerungen:

Das Haus liegt in dem Links-Bogen der Strasse – am Ende der Siedlung von kleinen Einfamilienhäusern, in den 50igern erbaut. Es gab noch freie Bauplätze, als wir dort einzogen. Eine leere Atmosphäre, besonders im Winter, wenn der Schnee alles verwandelt hatte. Wir sind diese Strasse mit dem Schlitten hinuntergefahren – welch ein Spass! Oder wir fuhren mit unseren Schlitten zwischen den gebauten Häusern in den Freiflächen. Denn die Winter waren noch richtige Winter mit viel Schnee, in dem wir tollten. Im Sommer kamen wir dien Rollschuhe zum Einsatz – Autos gab es nur ganz wenige, der Verkehr war gering. So gesehen war die Strasse unsere Spielfläche.

Jeden Tag ging ich diesen Weg, manchmal schlenderte ich in aller Ruhe und in Gedanken, oder in Eile. Wie oft aber auch bin ich mit klammen, mulmigen Gefühl dieses letzte Stück Strasse gegangen. Wie froh war ich jedesmal, wenn ich aus der Schule kam, wenn ich meinem Vater, der ebenfalls aus seiner Schule nach Hause kam, begegnete und das letzte Stück Strasse gemeinsam mit ihm ging. Die ersten Worte: „Wie war es in der Schule?“ – der Austausch über die Ereignisse des Tages. Besonders wichtig waren mir diese Treffen, wenn ich eine Klassenarbeit zurück bekommen hatte. War diese nicht so gut ausgefallen, tröstete mich mein Vater und munterte mich auf. Oder wir freuten uns, wenn sie gut benotet worden war.

Naja, das Abitur habe ich geschafft und mein Studium auch – heute weiss ich das, aber damals war es jedes Mal ein entsetzliches Angespannt-Sein, eine tiefe Unsicherheit und Ungewissheit.  Umso langsamer wurden meine Schritte, je näher ich dem Haus kam.

Unsere Strasse machte eine Links-Kurve und in der Richtung geradeaus war eine Wiese, wo wir kleine Häuschen in den Büschen bauten, oder im Winter Ski oder Schlitten fuhren. Hier von unserer Strasse aus konnten wir auch sehen, wie ein Schäferhund unsere heissgeliebte, kleine weil noch sehr junge Katze zerriss. Wir standen da und konnten nichts machen… unsere Trauer war unsäglich.

Im Rückblick erinnere ich mich an den ersten Freund, mit dem ich am Ende der Strasse stand und sprach, an meine allabendlichen Spaziergänge mit unserem Dackel. Später wartete ich auf die Post, sehnsüchtig – auf den Postboten, der die Strasse hinaufkam und mir Liebesbriefe brachte.

Gedanken tauchen auf, als ich mit meinem späteren Ehemann einen Schrank abholte, und der Transporter in der Strasse stand – ein Stück zu Hause nahmen wir mit.

Schon seit Jahren ist die Strasse zugebaut, die Wiese gibt es nicht mehr, überall sind Häuser, weitere Querverbindungen für den Verkehr – es ist ein dichtes Wohnviertel geworden. All die Freiheiten, alle Spielmöglichkeiten, die wir als Kinder hatten, gibt es nicht mehr.

Heute ist alles anders:  Das Haus ist verkauft – ausgeräumt und leer und wartet auf den neuen Eigentümer.

Meine letzte Fahrt die Strasse hinunter ist ein Rückblick, ich träume vor mich hin. Andere Bilder werden gegenwärtig: Unser erstes Auto, ein alter wunderschöner gelber DKW stand vor dem Haus, unsere Familie auf dem Bürgersteig vor dem Haus mit unserem Dackel.

Ein Zurück gibt es nicht, alles vergangen – die Strasse ist eine Strasse wie jede andere – aber sie ist immer noch MEINE Strasse voller Bilder und gelebter Ereignisse. Ja, sie kann vieles erzählen. So nehme ich Abschied von einem langen Stück meines Lebens – die Trennung ist endgültig.

© H.Hombach

Oktober 2007