Hydra

Ein Boot? Ein Vogel? Wer bin ich? – Der Mann auf dem Boot, der dem Vogel nachschaut, der bin ich!

Das Boot pachtete ich dieses Jahr zum ersten Mal, damit ich mit den Touristen meine Geschäfte mache, während Eleonore auf dem Kai gegenüber der Liegestelle des Bootes den Handel mit den Bildchen betreibt, die ich in den Wintermonaten in der Stube nach Ansichtskarten male.

Dem Hafen entlang ist wenig Platz für Fußgänger. Die Lädchen sind dem Wasser und den Booten ganz nah.

So haben Eleonore und ich das deutsche Paar gleichzeitig bemerkt und uns ein Zeichen gegeben. Warum auch nicht? Das wären doch genau die Leute gewesen, mit denen ein Geschäft zu machen ist. Und ich meine das nicht mal böse! Aber sie gingen weiter. Konnten wir uns so irren, die Eleonore und ich?

Sie ist meine Mutter und hat mich allein erzogen. Ich verlor den Vater früh. Sie weiß Bescheid im Leben. Als Kleiner spielte ich mich als ihr Beschützer auf, wo ich es für nötig hielt.

Wie ich auf die Malerei kam? Hier auf Hydra wohnen viele Maler. Eines Tages kauft man Pinsel, und so weiter. Man lässt sich im Laden, den es auf der Insel wegen der vielen Maler gibt, beraten.. Kauft eine schöne Postkarte, die einem nicht zu schwer zum Abmalen vorkommt. Bald schon geht das recht gut und man fängt an, es gerne zu tun gegen die Langeweile im Winter und wenn die Mama Eleonore ihre Stickereien macht .So arbeiten wir zusammen fürs Geschäft.

Das von Mutter und Sohn gleichzeitig ins Auge gefasste deutsche Paar – tatsächlich handelt es sich um Deutsche, da irren sie sich nicht – verfolgt also seinen Weg. Nicht vereinzelt; im Gegenteil. Es schlendert, umgeben von einem unaufhörlichen Strom von Touristen, den Hafen entlang. Ohne sich aufhalten zu lassen. Im Weitergehen aber glaubt die eine von den beiden , die Frau, dass sich da kurz vorher etwas Sonderbares abspielte zwischen ihr und einer Ladenbesitzerin am Kai. Diese hat sie gezielt aus der Menge angepeilt mit ihrem Blick und sie selbst schaute zurück mit einem Gefühl, ob sie beide sich irgendwie nahe stehen würden.

Die zwei Deutsche sind auf der griechischen Insel, Hydra, an Land gegangen.. Hydra, genannt nach der Riesenschlange mit neunzehn Köpfen. Wenn man davon einen abschlägt, wachsen auf der Stelle mehrere nach. So man die Bestie besiegen will, muss man die Stümpfe abfackeln. Dann streckt sie sich am Ende tot hin.

Von einer genannten Hydra auf Hydra wird dergleichen aber nicht erzählt. Einst bewohnte sie den Wald, oben auf dem Berg. Sie zeigte sich den Inselbewohnern nicht, unsichtbar unter dem Dach des Hochwaldes. Aber sie fraß alle Nächte den Hirten ein Schaf weg. Daraufhin brannten die Hirten die vielen, dicht an dicht stehenden Bäume nieder .Das brachte dem Ungeheuer den Tod. Wie auch immer, es wurden in der darauf folgenden Zeit auf der Insel seetüchtige Schiffe aus Holz gebaut – eine Handelsflotte.

Der kahl geschlagene Berg ragt gleich hinter dem Hafen steil auf. Autoverkehr in die Stadt hinein kann es nicht geben. Lauter Eselwege führen an stattlichen Häusern vorbei, die zweihundert Jahre alt sind, aber gepflegt und heute noch wunderschön. Sie gehörten mächtigen Kaufleuten und Kapitänen der großen Fahrt. Die genannte deutsche Reisende hat dafür ein Auge. Ihr Partner allerdings vermisst auf der ganzen Insel die Antike!

Nun ist der bunte und anregende Tag vorbei. Sie haben sich hingelegt in ihrem Hotelzimmer am Hafen. Und –

„Ich bin nicht in Griechenland, um Liebe zu machen!“ knurrt er.

Da lacht sie. Zu Hause wäre sie bei der Abweisung, die sie ja öfters erfährt , steif in sich zurück gefallen, am nächsten Tag unvergessen.

Hier …. Hier lacht sie.

„Wenn du wüsstest, wie dumm das klingt.“

Nun lacht auch er, kommt dennoch nicht zu ihr. Nicht noch in derselben Nacht.

Er hat sich nackt in seinem Bettlaken eingewickelt. Sie sich etwas Leichtes übergezogen

Der Balkon bei Nacht. Es gehen nur noch wenige Leute unten vorbei. Griechen, die sie bemerkt haben auf ihrem Hochsitz über der Straße, machen Witze. Sie wiederum belustigt die Vermutung, so mitten in der Nacht, für die da unten etwas Ungewöhnliches zu tun.Und, nein!, sie möchte jetzt nicht zu ihm ins Bett.

Die Nacht draußen ist schön, sanft. Besänftigend.

In ihrem Blickfeld eine Ecke des eirunden Hafenbeckens. Auch in Piräus hat der Hafen, den sie gut kennt, diese Form, welche vielleicht den alten Griechen ein Gefühl des Schutzes gab.

Wo die Eiform am weitesten ausholt, dort am Kai ist der Laden, vor dem heute morgen Bilder herum gestanden haben (an sich nichts besonderes) aber dort saß auch diese Frau mit dem bohrenden Blick. Ein stiller Zuruf hat sie erreicht. Wie beim Komplott.

Dort, fast unhörbar, ein Säuseln. Wasser? Wind? Absolut stille liegen die Boote nicht im nächtlich dunkeln Hafenbecken. Ein Scheuern? Oder Einbildung – Vorstellung. Sie hört genauer hin.

Wie spät sie endlich unter das Bettlaken schlüpft, das sie nicht mit ihm teilt, will sie nicht wissen.

Nicht mehr jung ist sie und kann die Nacht auf der Insel Hydra nicht einschlafen. Sie ist sich einer aufregenden Entdeckung sicher! Unten am Kai vor einem Geschäft will sie eine Ausländerin, wie sie selbst eine ist, gesehen haben. Amerikanerin vermutet sie, wegen ihres auffallenden Hutes. Morgen wird sie diese Frau, mit den scharfen Augen einer Malerin von unter dem Hutrand, aufsuchen. Sie ist sich ihrer Entdeckung so sicher! Sie wird sie nach ihren guten Bildern fragen, die sie hinten im Laden oder in ihrer Pension haben muss. Die auf dem Pflaster hingestellten, netten Bildchen sind ja für die Touristen. Damit verdient sie ihr Brot.

Sie selbst könnte von der vermeinten Kollegin, denn sie ist ebenfalls Künstlerin, lernen, wie das Alter zu leben in: Vergessen und – vergessen zu sein. Dann schläft sie endlich.

Der faszinierende Blick? In der Wirklichkeit – in der die Reisende, Suchende, nicht zu Hause ist – hat sie ihn mit einer Seemannstochter von den Inseln so eindringlich gewechselt, eben mit Eleonore, die ihr etwas zu verkaufen gedachte. Die Mutter des Bootsführers Kostas. Aber das zieht sie nicht mal in Erwägung!

Mutter Eleonore hat Sorgen. Seit heute morgen. In Nauplia, auf dem Peloponnes, ist ihre unverheiratete Schwester von dem einen Tag auf den anderen todkrank geworden. Eleonore kann sie nicht der Pflege von Nachbarinnen überlassen. Mit dem Jungen ist es aber schwierig; sie mag nicht, dass Kostas allein das Haus hütet. Seit er das Boot hat, entwischt er schon zu oft nach ihrem Gutdünken ihrer Aufsicht. Es gibt Fahrten mit Ausländerinnen, die allein zu ihm einsteigen. Mit einer jungen Amerikanerin war er mehrmals lange unterwegs. Das passt ihr gar nicht. Und er ist erst sechzehn.

Kostas pfeift. Wohl ist die Tante schwer krank und wird auch sicher sterben, aber bestimmt nicht heute. Noch ist er auf dem Boot, hat alles klar gemacht für eine Abfahrt. Dann steigt er aus. Von jemanden, der die lateinischen Buchstaben kennt, hat er in Englisch groß aufschreiben lassen: „Bootsfahrt! Fragen Sie nach im Laden gegenüber.“ Ein roter Pfeil weist dorthin. Er muss im Geschäft Wache halten. Die Mutter ist zur Tante. Wenn die junge Amerikanerin kommt, wird er schließen. Wird sie heute kommen? Kann aber sein, dass sie ihren „Kursus“ gibt, die genauen Stunden an denen sie Touristen unterrichtet, hat sie ihm verschwiegen. Ihr Kommen soll immer eine Überraschung bleiben. Sie sind zusammen schon weit weg gewesen. Sie hat ihm das antike Theater von Epidauros gezeigt.

Kostas bleibt guten Mutes.

Die deutsche Touristin hat ihren Mann allein gelassen vor dem Hotel hinter seinem „griechischen Kaffee“ – der eigentlich auf Türkisch zubereitet ist; sage nur niemals, einen „Türkischen“ zu wollen! Sie bestellen ihn, der Landessitte folgend, aber der Spaß beim Trinken vergeht einem eigentlich all zu schnell, ist doch das kleine Tässchen mit einem Haufen Kaffeesatz unten drin schon halb voll. Zum Trinken bleibt nicht viel. Der Kaffeesatz ist obendrein so fein gemahlen, dass der Ehemann den Trank al : „Mehr-Mehl-Als-Kaffee“ bezeichnet. Er überlässt das Bestellen ihr.

Sie geht auf der Suche nach ihrer – wie sie glaubt – Amerikanerin. Doch der Stuhl vor dem Geschäftchen ist unbesetzt. Stand da überhaupt gestern ein Stuhl? In ihrer Erinnerung war die alte Dame eher tief gesessen. Die Blickrichtung von unter dem Hutrand nach oben, riss die Augen weit und groß auf. Da konnte sogar der Eindruck entstehen, sie hätte auf dem Boden gehockt. Jungendlich, Rücken und Po in Berührung mit dem heißen Stein. Nun steht da ein Stuhl, wie alle Küchenstühle vor griechischen Türen auf griechischem Pflaster. Im Laden befindet sich ein junger Grieche.

Hat sie, Traumtänzerin, Inselhüpferin, denn geglaubt, sie lebe in einer Märchenoper? Wieso sollte ausgerechnet eine amerikanische Kollegin hier auf der Insel, wo sie selbst am Liebsten sich für längere Zeit einnisten möchte, so ein Lädchen halten? Hätte die das nötig?

Der starke Blick – die sehenden Augen der fremden Frau hatten ihr die Eingebung geschenkt.

Da saß eine, abgeklärt, wissend, ihren Tod abwartend. Und so wollte sie selbst es.

Nur Phantasterei?

Dass ihr um zehn Jahre älterer Mann vor ihr sterben wird, nimmt sie fast unbewusst an. Überhaupt scheut sie sich , darüber nach zu denken, dass er mal nicht mehr da sein könnte.

Das ganze ein Hirngespinst wenngleich äußerst real.

In Nauplia indessen, am Bett der todkranken Schwester, nimmt sich Eleonore übel, nicht voll und ganz bei der Pflege der Sterbenden zu sein.. Kostas geht ihr keinen Augenblick aus dem Sinn. Ihre Gedanken beschäftigen sich so stark mit ihm, dass sie manchmal bei der Pflege ungeduldig wird. Sie hat Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen.

Sie wägt ab. Wie alt mag sie sein, seine Bootsmitfaherrin? Sechsundzwanzig? Ausländerin, die auch sicher die Insel wieder verlässt. Sie fände es eher gut, wenn diese geeignete Person ihrem Sohn die Umsetzung des längst Gewussten ins wirkliche Leben beibringen würde, mit anderen Worten: ihm die sexuellen Weihen verleihen würde! Dass dieses schon geschehen ist, mutmaßt sie zurecht.

Nach ihrer Ansicht liegt die Gefahr bei Kostas. Er zeigt sich so hingerissen von der jungen Frau. Nur wegen ihrer Person? Oder lockt ihn die Fremde? Das so genannte amerikanische Paradies? Sie empfindet sich selbst stark als Insulanerin. Ihr Paradies ist die Ägäis – sind die Klänge der Insel – ist eigentlich alles hier .Nicht zu ersetzen, für nichts in der Welt.

So ist sie wohl der schwärmenden, sie suchenden Künstlerin näher, als es die Umstände erscheinen lassen!

Kostas ist der zarte Bittsteller gewesen bei der jungen Frau, die mit ihm im Boot war. Der zögernde Anfang – kam von ihm! Wie hoch schlüge das Mutterherz vor Stolz, wüsste es um dieses Geheimnis. Davon kann bei ihrem Sohn nicht die Rede sein, er hütet es ….

Eleonore hat ein Gefühl, als ob sie untergeht. Wie ein Schiff, das auseinander bricht. Sie will der Schwester alles geben, aber Alles gibt es hier nicht. Es bleibt noch Kostas. Es gilt im Auge zu behalten, welche Pläne er wälzt, die eine Mutter dem Gesicht des Sohnes ablesen kann.. Zweimal ruft sie an, vom Postamt aus. Im Geschäft zu Hause hat sie Telefon. Einmal antwortet der Junge nicht. Ihre Hysterie steigert sich: Vielleicht ist er schon abgehauen, weil er jetzt und nur jetzt die Chance hat!

Der Ehemann an seinem Tischchen auf den Pflastersteinen vor dem Hotel hinter der kleinen Tasse Mehr-Mehl-Als-Kaffee sieht seine Frau kommen. Ihre Enttäuschung liest er von ihr ab. Heute Nacht wird er mit ihr schlafen. Dann wird alles wieder gut sein. Sie setzt sich zu ihm und bestellt einen Griechischen Kaffee. Sie haben noch nicht gefrühstückt. Der Wirt bringt ein Stück Brot, Butter und Honig.

„Ich denke,“ sagt der Mann ,“wir können abreisen. Wir haben es hier nun wohl gesehen. Oder möchtest du noch bleiben?“ „Nein“ „Wohin?“ „Was schlägst du vor?“ „Wie wäre es mit Santorin? Mal nachsehen, wie die Verbindungen sind.“ „Nicht, wenn wir wieder erst nach Piräus müssen.“ „Ich wäre auch für den Peloponnes, Orte wieder sehen.“ Sie sind sich einig. Er holt sich ein Faltblatt am Tresen im Hotel.

Sie kann es nicht lassen. Sie dreht sich um nach der Stelle in der Kurve am Hafen.

Da kommt er schon zurück und setzt sich zu ihr. Sie lächelt in sich hinein. Sie weiß schon jetzt um seine Ängste, später am Tage, dass er kein Bett für die Nacht, kein Kissen für seinen Kopf (den auch sie so sehr liebt) finden wird.

„Hermes-alive“ oder „ Hermes-boy“ nennt sie ihn. Kostas in der stehenden Luft des Lädchens träumt von „seiner“ Muriel. Solche gibt es auf der Insel nicht. Was die einem alles zeigen kann! Sagt auch nicht „nein“ zum Liebemachen.( Ein gemeines Wort möchte er hier diesmal nicht benutzen.) Aber sie hat sich keinen Augenblick geziert. Und, das muss er sich wohl eingestehen – tief in sich, es schadet nichts – dass sie ihn einwies – auch wenn er mutig angefangen hatte, sie, ihre Beinen hinauf, zu streicheln.

Sie waren an dem Tag lange unterwegs gewesen. Zum Peloponnes herüber, da weiter mit Taxi, das sie bezahlte, nach Epidauros. Sie hatte gefragt, ob er wüsste von dieser alten Stelle? Ja, natürlich, aber es interessiere ihn nicht sonderlich, wie es da aussehen würde. „Komm, ich zeig es dir.“

Und? Was für einen Tag! Was für eine Frau! Und dann geschah es auf dem Boot, bevor sie nach Hydra zurück fuhren.

Muriel hat diesen Ablauf der Exkursion wie natürlich empfunden. Eine Art Dankeschön, war gemeint, auf Gegenseitigkeit, das zu nichts verpflichten würde.

Erinnerung zum Träumen!

„This moment“, „The moment being charged with tension, that´s it!”- “Der mit Spannung aufgeladene Augenblick zählt”.

Kostas hat noch im Ohr, wie Muriel sagte: „This moment“.

Ab nächsten Tag bereist das deutsche Paar den Peloponnes. Man soll nicht glauben, damit einen entlegenen Winkel europäischer Geschichte zu besuchen und für den Sammler und Jäger historischer Momente, wie unser Protagonist, gibt es weitab von touristisch besetzten Schauplätzen vielerlei zu erleben.

Im Herzen der Halbinsel liegt Tripolis. Dort gibt es einen erstaunlich großen Busbahnhof. Busse fahren nach allen Richtungen sternförmig aus.

Die zwei Reisenden entscheiden sich also für einen längeren Verbleib. .Natürlich gehen sie eines Tages auf ein Wiedersehen nach Olympia. Nah ist auch das wilde, schroffe Arkadien, mit den hoch gelegenen alten Städtchen. Ein anderes Arkadien als dasjenige der Literatur! Aber romantisch allemal.

Jeden Tag ein Ziel.

Der Peloponnes trieft vor Blut. Mythen und Geschichte; alles gleich wahr! Europa in den Kinderschuhen.

Vor dem Busbahnhof ist ein Kafeneion. Davor sitzen, wie überall in diesem Land, alte Männer auf Küchenstühlen. Vor Neugierde bewegungslos. Bis ihr zahnloses Grinsen beim Vorübergehen der Beiden am dritten Tag in ein freundliches „kali mera“ übergeht, das sie dann nicht unbeantwortet lassen. Am letzten Abend auf ihrem Rückweg zum Hotel, setzen sie sich für eine kleine Tasse „Mehr-Mehl-Als-Kaffee“ zu ihnen.

In gebrechlichem Deutsch sagt einer: „Diese deutsche Frau verehre ich, weil sie die Sitten unseres Landes beachtet und nicht, wie die meisten Touristinnen so gut wie nackt hier herumläuft.“ Er hat mit den Händen eine beschreibende , fast obszöne Bewegung über seinen Körper gemacht.

Sie ist erkannt. Lächelt ihm zu. Nickt.

Sie nehmen richtig Abschied. Morgen geht es weiter. „Wohin?“ „Kalamata. Einige Tage noch am Strand.“ „ Dann: Flugzeug nach Athen und weiter nach Hause!“ „Muss sein?“ „Muss sein!“

Bedauern am Tisch.

Jahre später – ihr Mann ist gestorben – denkt sie noch an den starken Blick in den Augen der vermeinten Amerikanerin.

Die eigene Lebensgeschichte im Rückblick gestaltet sich schon mal als Hydra mit hundert Köpfen. Der dicke Schlangenleib das Leben selbst, die Köpfe die Erinnerungen. Viele davon mit gefährlichen Zähnen im giftigen Maul. Schlägt man so einen ab, wachsen mehrere von der Sorte auf dem Stumpf gleich nach.

Es wäre ihr Einiges daran gelegen, das Biest irgendwie zu besänftigen.

Sie weiß um ihre Illusion des Vergessenkönnens. Nach der Insel wird sie zum guten Schluss nicht gelangen.

Die Begegnung, wie der Blitz, aufgeleuchtet und vorbei.

Wer bin ich? – Der Mann auf dem Boot und hab das Nachschauen. Diese Hure!

Ja, meine Tante ist tot. Übermorgen schließe ich den Laden, fahre nach Nauplia. Die Beerdigung …..und danach ….alles wie früher.

Hermes, sagte sie, du sollst hier bleiben. In Amerika bist du ein Fremder unter Fremden.

Niemand beachtet dich.

Hier bist du Hermes alive.

Dein Land, glaube mir, ist schöner als Amerika! (Lügnerin!)

Vielleicht komme ich mal wieder. Ich hoffe es. Wirklich! (Lügnerin!)

Keinen Namen weiß ich – Muriel – wirklich? Und weiter? Keine Stadt, keine Adresse.

Der Vogel ist geflogen.

August/ Oktober 2004

© Gertrude Gröninger-van der Eb